Was ist Waste in der Kirche? Warum es ein Qualitätsmanagement braucht

Immer wieder kommt die Frage auf, was Waste (Englisch für Verschwendung) in der Kirche ist? Wahrlich eine gute Frage! Natürlich kann die Frage ganz einfach beantwortet werden, denn grundlegend gilt als Verschwendung all das, was den Menschen davon abhält, Jesus näher zu kommen. Diese Sicht ist als Basis für eine aufrichtige Herzenshaltung für den Dienst essentiell, aber sie hilft der Kirche als Organisation leider nicht weiter. Denn so offensichtlich ist das mit der Verschwendung leider nicht. Der Teufel liegt im Detail. Das wissen wir aus anderen Branchen. Ausserdem kann sich Waste immer wieder aufs Neue einschleichen und man merkt es – auch als erfahrener Lean-Profi – nicht auf Anhieb. Darum hilft oftmals eine Aussensicht, um die sogenannte „Betriebsblindheit“ auszuschalten. Der Autor dieses Textes, welcher sich selber bereits seit über 20 Jahren mit Lean und Kaizen beschäftigt, entdeckt immer wieder neue Facetten von Verschwendungen in Prozessen. Egal in welcher Branche – und selbstverständlich auch in Kirchenorganisationen. Deshalb gibt er hier ein paar Beispiele von Verschwendungsarten und -formen, welche man getrost immer mal wieder unter die Lupe nehmen darf. Tipp: Programmieren Sie hierzu jeweils einen Lebenzyklus pro Prozess, der Ihnen den Takt vorgibt, wann Sie was untersuchen oder messen wollen in Ihrer Gemeinde. In den meisten Organisationen ist das Qualitätsmanagement und/oder die Organisationsentwicklung mit der Messung von Qualität und Prozessen betraut. Warum nicht auch in der Kirche? 

 

In Spitälern beispielsweise orientiert man sich – unter anderem – an klinischen Outcome-Messungen, wie z.B. Komplikationen oder Sterberate. Diese werden von Experten für Experten erhoben und ausgewertet. Die Beurteilung, ob der Patient auch zufrieden ist, wird dabei weniger berücksichtigt. Das klinische Outcome zu messen ist zweifellos wichtig, Ergebnisqualität ist jedoch mehr als die Frage, ob ein Eingriff überlebt wird und komplikationsfrei durchgeführt werden kann. Deswegen gibt es weitere Arten von Qualitätsmessungen, z.B. die PROMs (Patient Reported Outcome Measures) und die PREMs (Patient Reported Experience Measures), welche die subjektive Perspektive der Patienten erheben. Die PROMs zeigen faktisch, wie gut die Behandlung war – aus Sicht des Patienten mit seinem wahrgenommenen Gesundheitszustand und der erworbenen Lebensqualität, aber ohne klinische Bewertung des Ergebnisses. Patient Reported Experience Measures (PREMs) messen hingegen die wahrgenommene Erfahrung der Patienten mit dem Behandlungsprozess. Hierbei sind z.B. Fragen relevant wie „Hat die Patientin/der Patient lange auf ihre/seine Behandlung gewartet?“ oder „Hat sich die Person in den Entscheidungsprozess involviert gefühlt?“. Während der Fokus bei der PROM-Erhebung also auf dem Gesundheitsstatus (Outcome) liegt, wird bei der PREM-Erhebung versucht, die Zufriedenheit und Erfahrung mit dem Ablauf des Behandlungsprozesses zu erfassen.

 

Um also ermitteln zu können, wie gut Ihre Prozesse sind, müssen Sie, sofern Sie wirklich wissen wollen, wie gesund ihre Kirche ist, eben auch Ihre Kundinnen und Kunden (nicht nur die Mitglieder, sondern auch Interessierte und auch Kirchendistanzierte) befragen. Mein Rat an kleine Gemeinden, welche an der Schwelle zur mittleren Grösse stehen, ist, eine Stabsfunktion "Organisationsentwicklung" zu implementieren. Diese haben beispielsweise die Aufgabe, das Qualitätsmanagement zu lenken. Eine Aufgabe besteht beispielsweise darin, zu erheben, wie "gesund" die Gemeinde ist. Dies können und sollten selbstverständlich auch kleine Gemeinden tun, aber ab einer mittleren Grösse wäre ein Verzicht darauf eine sträfliche Unterlassung, einer verantwortungsvollen Führung.

Selbstverständlich darf es nicht an Ihnen als Gemeindeleiter/in hängen, das Qualitätsmanagement zu betreiben. Das ist nicht Ihre primäre Aufgabe, delegieren Sie diese Aufgabe und sorgen Sie dafür, dass Sie regelmässig Informationen erhalten von dieser Stelle. Eine Organisationsentwicklung (OE) oder ein Qualitätsmanagement (QM) zu berufen ist keine schwere Sache. In der Regel können solche Jobs sogar ehrenamtlich von einem kleinen Team erledigt werden. Sie werden staunen, wie gerne dies ehrenamtliche Mitarbeitende tun werden, da sie sich um die Gesundheit der Gemeinde kümmern dürfen. Das ist eine grosse Ehre und eine schöne Aufgabe. Selbstverständlich darf diese Aufgabe nur an gewissenhafte Personen übertragen werden und in der Regel empfiehlt es sich, wenn Sie einen betriebswirtschaftlichen Hintergrund haben oder eben aus dem Qualitätsmanagement kommen. Vereinbaren Sie mit der Person, welche die OE oder das QM führt, welche Messungen vorgenommen werden und wann welche Resultate vorliegen. Ausserdem sollen mit den Resultaten auch adäquate Vorschläge für Massnahmen erfolgen. Aber nun zur Praxis.

 

Nehmen wir einmal an, Sie messen die Qualität eines Prozesses und das Ergebnis fällt negativ aus. Sie haben beispielsweise eine Predigtsprache, die nur für geistlich reife Personen geeignet ist. Dann haben Sie schon eine sehr wertvolle Erkenntnis erworben. Vielleicht erkennen Sie dann weiter, dass Ihre zielgruppengerechten Angebote mangelhaft gestaltet sind und darum auch keine neuen Personen Anschluss an Ihre Gemeinde finden. Die Kunst ist also, die richtigen Fragen zu den richtigen Prozessen zu stellen, um beurteilen zu können, wie gesund ihre Gemeinde ist. Und dies ist wiederum abhängig vom Auftrag der Gemeinde. Hier einige Beispiele von möglichen Verschwendungen (nach den sieben Arten der Lean Verschwendungen) und die Fragestellung dazu: 

 

1. Wartezeiten

a.    Wie oft entstehen Wartezeiten bei Sitzungen?

b.    Wie oft entstehen Wartezeiten beim Gottesdienst?

c.     Wie oft wartet ein/e Suchende/r auf ein Angebot? (z.B. Seelsorge, Alpha-Kurs, etc.)

 

2. Mängel (Qualität)

a.    Wie gut sind unsere zielgruppengerechten Angebote? Zum Beispiel:

·         Ist die Predigtsprache geeignet für Kirchendistanzierte?

·         Ist der Inhalt / das Programm zielgruppen- und altersgerecht?

·         Bestehen Einsteiger-Angebote? (um Platz zu finden in der Gemeinde)

·         Welche Angebote existieren für höhere Reifegrade? (um in der Gemeinde zu bleiben)

b.    Welche Mitarbeit-Möglichkeiten gibt es?

c.     Wie gut lenken wir unsere Information?

·         Existiert eine adäquate Kommunikation über Ziele, Pläne, Veränderungen (Balanced Scorecard basiert)?

·         Wie gut ist unser sorgsamer Umgang mit Mitarbeitenden mit hohem Commitment (bei grossen Veränderungen)?

·         Ist dem Gönner/der Gönnerin klar, wo/wie man einbezahlen kann? Ist es klar, was mit dem Geld passiert?

·         Ist allen klar, wer für was zuständig ist (AKV oder RACIS)? Und auch wer Stv. ist?

d.    Fehlplanung ("muri" = Überlastung und "mura" = Unausgeglichenheit)

·         Ist genügend Personal für die Organisation/den Aufbau eines Gottesdienstes, Seminars, Events vorhanden?

·         Existiert eine detaillierte Planung, inkl. beschriebener Ablauf und Verantwortlichkeit pro Ablaufpunkt?

·         Sind die AKV's (beschriebene Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortung) allen klar?

·         Sind der Zweck und die Ziele allen klar? (z.B. in einem Gottesdienst-Briefing)

·         Sind die Aufgaben ausgeglichen verteilt?

e.    Weitere Qualitätsmängel (z.B. mit einer Bewertung von 1 bis 10)

·         Wie gut ist die Predigt für geistlich reife Besucher/innen?

·         Wie gut ist die Predigt für Kirchendistanzierte?

·         Wie gut können Kirchendistanzierte Anschluss finden?

·         Werden Kirchendistanzierte aktiv angesprochen?

·         Wie gut sind die Angebote rund um einen Gottesdienst?

·         Wie gut wird die Kommunikation wahrgenommen?

·         Wie gut wird die Gemeindeleitung bewertet?

·         Wie gut geschehen Veränderungen in der Gemeinde?

·         Wie zeitgemäss ist die Gemeinde?

·         Wie gut sind die Beziehungen innerhalb der Gemeinde?

·         Wie gut sind die Beziehungen zu Kirchendistanzierten?

·         Wie viele Beziehungen werden zu Kirchendistanzierten gepflegt?

 

3. Überproduktion (Wir machen zu viel / zu wenig)

a.    Wie leicht / schwer kann bei uns jemand Jesus kennen lernen?

b.    Wie viele Prozessschritte braucht es, damit jemand in den Dienst X treten kann?

c.     Wie viele theologische Ausbildungen werden angeboten?

d.    Wie viele Anlässe für Kirchendistanzierte / Interessierte werden angeboten?

e.    Wie Leicht / schwer kann bei uns jemand eine neue Kirche gründen?

 

4. Überverarbeitung (Wir machen zu ausführlich / zu wenig ausführlich)

a.    Wie gut ist unsere geistliche Lehre?

b.    Wie hoch ist unsere Dichte an geistlicher Lehre?

c.     Wie ausführlich sind unsere Alpha-Kurse?

d.    Wie ausführlich ist unsere Seelsorge?

 

5. Bestände

a.    Bestände im logistischen Sinn: Wie gut sind unsere Bestände/Lager organisiert?

b.    Bestände im logistischen Sinn: Wissen wir, was wir haben/wie viel wir davon haben?

c.     Bestände im logistischen Sinn: Sind unsere Lager am richtigen/geeigneten Ort?

d.    Bestände im geistlichen Sinn: Wie theoretisch/praktisch ist unser Glaube? (das kann man messen!)

e.    Bestände im finanziellen Sinn: Wie sind unsere Bestände des Eigenkapital/Fremdkapital? Was tun wir mit dem Geld?

 

6. Unnötige Bewegung

a.    Wie oft suchen wir Informationen / Personal / Mitarbeitende?

b.    Wie oft müssen wir umziehen / Auf- und abbauen?

c.     Wie gut ist unsere Dokumentation geführt?

d.    Wie gut finden wir unsere Daten?

e.    Wie schnell sind wir einsatzbereit?

 

7. Ungenutztes Mitarbeitenden-Potential

a.    Hat die Kirche einen KVP (kontinuierlichen Verbesserungsprozess)?

b.    Nehmen die Mitarbeitenden aktiv am KVP teil?

c.     Wie viele Verbesserungsvorschläge aus dem KVP werden jährlich umgesetzt?

d.    Werden Innovationen gemanagt?

e.    Wie viele Ideen aus dem Innovationsportfolio werden jährlich umgesetzt?

f.      Existiert eine Organisationsentwicklung?

g.    Hat die Organisationsentwicklung direkten Einfluss auf die Gemeindeleitung?

  

Haben Sie Fragen zu den Verschwendungen oder zur Implementierung einer Organisationsentwicklung / einem Qualitätsmanagement, scheuen Sie sich nicht, mich zu kontaktieren.